Ein kleiner Überblick über die Historie der Fliese

Jede Fliese ist ein blaues Wunder. Und nicht nur im wörtlichen Sinne. Denn die Fliese, die nach dem letzten Brand wunderschön blau aus dem Ofen kommt, kam dort nämlich mausgrau bemalt hinein. Erst die Reaktion aus Feuer und Farbstoff lässt die Fliese dann in ihrem berühmten Blau strahlen. Ein Effekt, der seinerzeit für die Entstehung des Ausspruchs „ein blaues Wunder erleben“ verantwortlich war.

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Fliesen sind Produkte einer Jahrtausende alten Entwicklung. Erzeugung und Verwendung glasierter keramischer Wand und Fußbodenverkleidungen lassen sich in der Pharaonenzeit Ägyptens und – besonders eindrucksvoll – in den frühen Reichen Mesapotamiens und Persiens ebenso feststellen wie in den späteren Reichen des Islams. Das maurische Reich auf der iberischen Halbinsel übte einen wichtigen Einfluss auf den Beginn und die Weiterentwicklung der Fliesenkultur außerhalb des Orients und Nordafrika aus.

Weniger bedeutsam, doch spürbar war dann der spätere türkische Einfluß. Ihren Höchststand erreichte die Fliesenkultur in Italien und in den westeuropäischen Ländern des Mittelalters und der Renaissance.

Vom frühen 16. Jh. an bis in die 2.Hälfte des 19. Jh. waren die Niederlande qualitativ führend auf dem Gebiet der Fliesenherstellung. Ab Mitte des 18. Jh. kam zusätzlich zu dieser qualitativen auch die quantitative Vormachtstellung.

Der Aufstieg der niederländischen Produktion
Die Produktion folgte zunächst mittelmeerisch-ornamentalen Ausstrahlungen via Italien-Antwerpen. Später wurden die inzwischen typologisch eigenständigen niederländischen Fliesen in die Länder der Iberischen Halbinsel und sogar in deren überseeischen Besitzungen exportiert. Ornamentale Erstarrungen wurden allmählich abgestreift oder buchstäblich an den (Fliesen-)Rand gedrängt, Eckornamente von Fliesen sind daher oft wichtige Indizien für deren Entstehungszeit. Das “Genre” wurde als Fliesenmotiv zwar nicht entdeckt, aber doch prinzipiell in die Fliesenmitte gestellt.
Damit wurde jener Fliesentyp geschaffen, der heute als “niederländisch” oder häufiger, jedoch geografisch oft nicht korrekt, als “holländisch” bezeichnet wird.
Zum “Genre” gehören neben den maritimen Darstellungen insbesondere solche des Pflanzen- (Blumen, Früchte) und des Tierreichs, der Kinderwelt (Spiele) und der Berufe (Handwerker, Hausstände, Soldaten). Speziell im Rokoko wurden nach antiken Vorbildern idealisierte Darstellungen der Hirten, der verschiedenen Landschaften, der Bibel und von Seelebewesen, (bei denen es sich häufig genug um Meeresungeheuer handelt) geschaffen. womit sich der thematische Kreis zum Maritimen schließt.
Dennoch kennt die niederländische Fliesenproduktion zu keiner Zeit einen völligen Verzicht auf mehr oder minder abstraktornamentale Hauptdekors.
Die Fliese als dekoratives Element

Bis zu ihrer Verdrängung durch die Papiertapete in der zweiten Hälfte 19. Jh. sind die niederländischen Wandfliesen als Elemente der Raumgestaltung nie einzeln, sondern stets zusammenhängend, im Verbund, angebracht worden. Anfangs verwendete man die Fliesen oft lediglich für die Scheuerleisten unten an den Wänden. Beispiele dafür zeigen Jan Vermeers – Milchgießerin – und Pieter de Hooghs – Vorratskammer -. Später mehren sich die Fälle, in denen Fliesen als Material für feuersichere Kamin- und die isolierende Verkleidung anderer Wände gebraucht wurden.

In Hindelooper und Workumer Wohnungen (Niederlande) sieht man, wie ganze Räume mit Hilfe von Fliesen verkleidet wurden. Ähnlich war die Verwendung auch in Ländern, in die niederländische Fliesen exportiert wurden. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Export nach dem Einsetzen der friesischen Massenproduktion ab Mitte des 18. Jh.

Von der Ems- bis zur Elbemündung sowie an der Westküste Schleswig-Holsteins und Dänemarks, ermöglichte der Fliesenimport eine bewundernswerte Raumgestaltung mit weitgehender Verfliesung.

An eben dieser Westküste, z.B. in Wyk auf Föhr, vor allem aber in der Nähe Hamburgs (Vierlande, Wilster Marsch, Finkenwerder), entstand im 18 Jh. sogar ein neuer Raumtyp, bei dem die Fliesen mit geschnitztem, kassettiertem und eingelegtem Holz kombiniert wurden.
Die eigentümliche Schönheit wie Wohnlichkeit dieser gefliesten und zugleich holzgetäfelten Räume ist im Herkunftsland eben so selten zu finden wie in Ostfriesland.

Die Fliese – ein Schwergewicht

Zur Praxis des niederländischen Fliesenexportes an die deutsche und dänische Nordseeküste sei auf eine maritime Besonderheit hingewiesen: Manche Segelschiffe (meistens Schmacken oder Kuffen), die jeweils im Frühjahr die deutschen Besatzungsmitglieder zu niederländischen Walfangschiffen in die entsprechenden Häfen (besonders Harlingen und Amsterdam) brachten, sollen für den Rückweg mit Fliesen beladen worden sein. Diese Fliesen brachten nicht nur Verkaufsgewinn, sie füllten auch den leeren Schiffsraum und sorgten für den notwendigen Ballast.


GHJ
- Rolf Greeven -